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Prospektion in der Wüstungslandschaft Thurgau

Aufgrund der langjährigen Prospektionsarbeiten ergab sich die Möglichkeit, eine erste grobe Übersicht über die Wüstungen im Kanton zusammenzustellen. Einige der Plätze wurden sodann historisch "angebohrt", um eine erste Datierungshypothese zu gewinnen. Für eine mittelgrosse Siedlungskammer kann hier eine Wüstungsgeschichte skizziert werden.

Thomas Specker.

Siedlungswüstungen im Thurgau

Archäologie der Schweiz (as), 1997/2, S. 91-93
(Spezialnummer Kantonsarchäologie TG)

Die Erforschung mittelalterlicher, heute verschwundener Siedlungen, sog. »Wüstungen«, kann unter gänzlich verschiedenen Aspekten angegangen werden: Eine eher historisch interessierte Wüstungsforschung versucht, einzelne »Wüstungsphasen« zu identifizieren und deren Ursachen zu ermitteln. Eher geographisch hingegen ist die Frage nach Veränderungen der Siedlungs- und Verkehrsstruktur, welche mit dem Abgang gewisser Siedlungen verbunden waren. Und das besondere Interesse der Archäologie liegt naturgemäss bei der einzelnen Siedlung. Dabei interessieren vor allem eine genaue Lokalisierung und eine detaillierte Untersuchung bis hin zur Ausgrabung.

Wüstungsforschung und Prospektion im Thurgau

Seit einigen Jahren werden archäologische Prospektionen mit Schwerpunkt auf oberflächlich sichtbaren kulturlandschaftlichen und archäologischen Geländerelikten durchgeführt. Hauptsächliche Methode ist die grossflächige Begehung möglichst der ganzen Kantonsfläche. Die hierbei bestehende Zusammenarbeit mit dem Inventar Historischer Verkehrswege der Schweiz (IVS) erbrachte vor allem im Bereich lokaler Wegnetze positive Ergebnisse. Die grossflächige Prospektion ergab aber erst ungenau lokalisierte Siedlungswüstungen. Um eine (erste thurgauische) Wüstungsgrabung ansetzen zu können, ist ein »intensiveres«, gezielteres Vorgehen nötig. Bisherige Wüstungsforschungen in der übrigen Nordostschweiz wurden mit geringem Umfang und wenig kontinuierlich betrieben. Einige Grabungen sind zwar durchgeführt worden. Es bestehen aber kaum Ansätze zu einer übergreifenden, modellorientierten Betrachtung der Siedlungsstruktur (1).

Zeitliche und räumliche Verteilung der Wüstungen

Die Prospektion erbrachte ca. 160 mittelgenau lokalisierte Wüstungen. In ihrer Verteilung fallen die teilweise enorme Dichte und die Konzentrationen in höheren Lagen auf. Die Mehrzahl sind Höfe mit Abgang in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diese jüngste und am besten fassbare Wüstungsphase (2) im Kanton beruht auf dem modernen Strukturwandel: Die Agrarwirtschaft stellte in dieser Zeit von Getreideanbau auf vermehrte Milch-Gras-Produktion um, verbunden mit grösserem Kapitaleinsatz. Neue Verkehrsmöglichkeiten und stärkere Konkurrenz machten sich bemerkbar (3). Eine zweite (ältere) Wüstungsphase lässt sich leicht nachweisen, wie einzelne Stichproben in den Quellen zeigen. Offenbar verschwanden häufig Höfe um 1500. Hier ist möglicherweise die spätmittelalterliche Agrarkrise der Grund, welche eine deutliche Ausdünnung der Siedlungen zur Folge hatte. Deren Ausmass lässt sich noch nicht überprüfen, da die Quellen bei weitem nicht systematisch genug ausgewertet sind (4). In verschiedenen Regionen sind - als dritte Wüstungsphase - mit dem hochmittelalterlichen Prozess der sog. »Vergetreidung« Wüstlegungen verbunden (ca. ab 11. Jh.). Der entsprechende Strukturwandel umfasst die Entstehung von Dörfern mit Zelgensystemen und spinnenförmigem Wegnetz. Es wird nun vor allem Getreide angebaut und die Vieh-Gras-Wirtschaft geht zurück. Kleinere Siedlungen gehen in grösseren auf und ihre Flur wird ins Zelgensystem der Dörfer integriert. Diese Phase ist im Thurgau wohl nicht klar fassbar (5).

Fallbeispiele

Die Siedlungskammer südlich der Lauche (Abb. 2 u. 3)

Etwa ein Dutzend Einzelhöfe und Weiler besetzen heute die hügelige Landschaft zwischen Lauche und Wängi. Viele sind erst im 19. Jahrhundert entstanden. Etwa ums Jahr 1000 n. Chr. bestanden Wängi (Oberwängi) mit Kirche, der Hof (?) Schauelen/Schowingen (heute wüst), Lachen, Anetswil, Üetikon (wüst) (6). Bis zum 13. Jahrhundert entstanden Grüthof und Brei-tenloo (wüst). Später kamen Schürli, Stägehof und Eggetsbüel hinzu (7). Mindestens zwei weitere Höfe (wüst) lagen noch näher an der Lauche (8). Ortsnamen und früheste Quellen legen einen Landesausbau von Süden nach Norden nahe. Die vier Wüstlegungen dürften in die Zeit um 1500 fallen. Bereits eine oberflächliche Untersuchung zeigt also Erstaunliches: Trotz der beträchtlichen Fluktuation hat sich die Siedungsstruktur nicht grundlegend geändert! Es bleibt bei Einzelhöfen und Weilern mit dem zentralen Ort Wängi. Eine Vielzahl von Wölbackerfeldern und Ackerrainen lassen eine lange, intensive Ackernutzung erkennen. Trotz einiger Rietflächen in dieser Region (heute trocken), darf daher nicht ohne weiteres auf ackerbauliche »Grenzlagen« geschlossen werden. In dieser Siedlungskammer wäre offenbar eine archäologische Untersuchung früh abgegangener Siedlungen möglich.

Sepnang (Abb. 4)

Das am Rhein westlich von Stein gelegene Seppling wird erstmals im Jahr 799 erwähnt und scheint nur aus zwei Gütereinheiten bestanden zu haben (9). Anscheinend ist die Siedlung (nicht aber die Flur) um 1500 abgegangen (10). Die Lokalisierung ist recht sicher: Der Hof »Sepenanch« wird im Zinsrodel der Abtei Wagenhausen zusammen mit Etzwilen, Richlingen, Schlattingen, Schlau usw. erwähnt, also mit Orten im näheren Umkreis. Dem Flurstück blieb eine besondere Rechtsstellung; noch im 17. Jahrhundert verzeichnet der Wagenhauser Herrschaftsplan den »Seplingweg« in einem auffälligen Gebietsfortsatz (Abb. 5). Bei früh- und hochmittelalterlichen Siedlungen ist immer mit grösseren Verschiebungen von Siedlungen zu rechnen. Auch liegt hier ein recht grosser, siedlungsleerer Raum vor (11). Daher mag der Ort »Sepling« (oder andere Orte) archäologisch durchaus an wechselnden Orten zu lokalisieren sein.

Ärwilen / Märwilen

Die erstmals im frühen 13. Jahrhundert fassbare Herrschaft um die Burg Griesen-berg auf dem Wellenberg zeigt das typische Bild eines hochmittelalterlichen Landesausbaus seit dem 10. oder 11. Jahrhundert durch mehrere kleinere Adelige (12). Westlich der Burg liegt eine ausgedehnte Einzelhofregion mit insgesamt fünf Burgstellen. Das um 1550 abgegangene Ärwile gehört zu einer westlichen Gruppe von Hofwüstungen (13).

Die Siedlung Ärwile ist ab dem 14. Jahrhundert historisch nachweisbar. 1368 wird ein » hof ze Erwile« dem Hochstift Konstanz geschenkt. 1374 wird der gleiche oder ein anderer »hof genemt Arwille« verkauft und bereits 1385 erneut abgestossen. 1466 erscheint ein »Aerwile« als Teil der Herrschaft Spiegelberg (14). Ausgedehnte Wölbackersysteme (Abb. 6) und Ackerterrassen lassen erkennen, dass Ärwilen eine ackerbaulich orientierte Siedlung war und kein Schwaighof (auf Abgaben aus Milchwirtschaft spezialisierter Betrieb) oder ähnliches. Der eigentliche Siedlungsplatz ist noch nicht genau lokalisiert. Hier bietet sich aber der Archäologie die Chance, eine früh abgegangene, wenig gestörte Siedlung zu untersuchen (15).

Anmerkungen

1) W.U. Guyan, Die ländlichen Siedlungen des Mittelalters in der Nordschweiz. Geographica Helvetica 2,1968; W. U. Guyan, Zur ländlichen Wüstungsforschung in der Schweiz. Geographica Helvetica 1,1979; P. A. Abt, Beiträge zur Methodik der topographischen Lo-kalisation von Ortswüstungen (Zürich 1968); K. Wanner, Kontinuität und Wüstungen im nördlichen Kanton Zürich (9.-15. Jahrhundert) (Bern 1984). Nur Wanner untersucht Veränderungen der Siedlungsstruktur. Guyan hat sich stark auf die innere Struktur der Siedlungen konzentriert.
2) E. Schmid, Beiträge zur Siedlungs- und Wirtschaftsgeographie des Kantons Thurgau (Frauenfeld 1918) Katalog.
3) H. Brugger, Geschichte der thurgauischen Landwirtschaft und des Thurgauischen Landwirtschaftlichen Kantonalverbandes von 1835-1935 (Frauenfeld 1935) 27-31; H. Brugger, Die schweizerische Landwirtschaft 1850-1914 (Frauenfeld 1978).
4) Neues wird das Thurgauische Namensbuch von Eugen Nyffenegger bringen.
5) Wanner (Anm. 1) hat dieses sog. »Konzentrationsmodell« für die Ostschweiz sehr stark differenziert.
6) K. Tuchschmid, Geschichte von Wängi (Sirnach 1948) 47 ff.; Thurgauisches Urkundenbuch (TUB) VII, Nr. 3612, 1380. TUB VII, Nr. 3769, 16. Nov. 1383.
7) TUB VII, Nr. 3769,16. Nov. 1383; Tuchschmid (Anm. 6) 47-50; 138.
8) TUB VII, Nr. 3769, 1369. TUB VII, Nr. 3385, 1376; Schmid (Anm. 2).
9) TUB l, Nr. 24, 13. März 799. TUB l, Nr. 89, 6. März 855. TUB VIII, Nachtrag Nr. 1, 13. Jan. 965. TUB II, Nr. 29, um 1150. TUB III, Nachtr. Nr. 44, vor 1300. Meist nur ein »Hof« und nur zwei gleichzeitige Besitzer erwähnt.
10) H. Waldvogel, Geschichte der Herrschaft Wagenhausen. Thurg. Beitr. 101, 1964, 6 ff. Verkauft 1433 als Teil der Hohenklinger Pertinenzen und 1561 nicht mehr erwähnt.
11) Wanner (Anm. 1) 193 zeigt, dass mit mehrfacher Verlegung um Dutzende bis Hunderte Meter zu rechnen ist.
12) W. Meyer, Rodung, Burg und Herrschaft. Ein burgenkundlicher Beitrag zur mittelalterlichen Siedlungsgeschichte. In: Burgen aus Stein und Holz. Schweiz. Beitr. zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 5 (Olten 1979) 43-80; R. Sablonier, Adel im Wandel. Eine Untersuchung zur sozialen Situation des ostschweizerischen Adels um 1300. Veröffentl. des Max-Planck-Instituts für Geschichte 66 (Göttingen 1979) 72 u. passim.
13) Waldhof und Bietenhart: Abgang 19. Jahrhundert. Möglich: Chrätzeren und Schlatt. Die westlichen Burgstellen sind nicht untersucht, haben aber typische Form: in Spornlage aufgesetzte Motte mit Abschnittgraben, einfacher innenliegender Wall.
14) TUB VI, Nr. 2962, 7. Okt. 1368 und Nr 3254, 26. Jan. 1374: »zwischent Wulfikon und Ochsenhart«. TUB VII, Nr. 3820, Feb. 1385. H. Zeller-Werdmüller, Geschichte der Herrschaft Griessenberg im Thurgau. Jahrbuch für Schweizerische Geschichte 6, 1881.
15) M. Trächsel, Die Hochäcker der Nordostschweiz (Zürich 1962) 91 hat hier schon eine Siedlungswüstung vermutet.

Les agglomérations abandonnées du canton de Thurgovie

Cet article présente l'état de nos connaissances quant aux agglomérations médiévales abandonnées dans le canton de Thurgovie. Près de 160 habitats sont localisés avec une certaine précision grâce aux sources cartographiques et écrites. Ilserait certainement fructueux d'entreprendre des fouilles archéologiques à l'emplacement de quelques sites connus. Cet axe de recherche est étayé par trois exemples.
M.-A. H.

Insediamenti abbandonati nel cantone Turgovia

L'articolo descrive lo stato attuale in cui sono stati registrati gli insediamenti abbandonati di epoca medievale nel cantone Turgovia. All'incirca 160 insediamenti sono stati identificati in modo abbastanza preciso grazie sia a fonti scritte che cartografiche. Tre semplici esempi dimostrano che sarebbe certamente opportuno effettuare delle indagini archeologiche in alcuni luoghi.
E.F.

Abbildungen

(Alle Bilder: Bild T. Specker, wo nichts vermerkt ist)

Abb. 1

Vor 1920 abgegangene mittelalterliche Siedlungen, die mit mindestens 200 m Genauigkeit lokalisiert sind.
Les agglomérations médiévales disparues avant 1920 dont la Position est connue à 200 m près.
Insediamenti medievali, abbandonati prima del 1920, localizzati con almeno 200 m di precisione.

Abb. 2

Die Flur Schauelen/Schowingen. Im Hintergrund Schloss Sonnenberg.
Le lieudit Schauelen/Schowingen. A l'arriere-plan, le chäteau de Sonnenberg.
Il terreno Schauelen/Schowingen. Sul fondo il castello Sonnenberg.

Abb. 3

Eine wichtige Quelle ist die Karte des Kantons Thurgau, 1:25'000 von Johann Jakob Sulzberger (um 1835). Die Siedlungslücke nördlich von Wängi in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts ist sehr deutlich. Aufnahme- und Reinzeichnungen, Kantonsbibliothek Frauenfeld.
La carte du canton de Thurgovie au 1:25'000e établie vers 1835 par Johann Jacob Sulzberger est une source de première importance.
Una fonte importante è la carta 1:25'000 del cantone Turgovia, di Johann Jacob Sulzberger, datata attorno al 1835.

Abb. 4

Die heutige Lichtung »Sepling« mit dem im 20. Jahrhundert neugebauten Hof. Im Hintergrund Schloss Hohenklingen.
La clairière contemporaine »Sepling« et sa ferme, recons-truite ce siècle. A l'arriere-plan, le château de Hohenklingen.
L'odierna radura »Sepling« con il podere costruito recentemente nel XX secolo. Sul fondo il castello Hohenklingen.

Abb. 5

Auffälliger Gebietsfortsatz, gezeigt im »Grundriss über den dem Fürstlichen Gottshauss Einsiedlen Zustehenden universal- Gross - und Klein Zehnden von denen in der Herzschafft Wagenhausen und vor der Brüggischen (...).« Anonymer Plan 1760. Privatbesitz. (Foto K.Keller, Frauenfeld.)
Une continuité d'occupation remarquable.
Sorprendente prolungamento del terreno.

Abb. 6

Die heutige langgezogene Lichtung auf der obersten Geländeterrasse bei Ärwilen.
La clairière longiligne de nos jours, etablie sur la plus haute terrasse allongée.
Il prolungamento del l a radura odierna sul terrazzo superiore.

© 1997 GRAD GIS Specker