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Kulturlandschaftsentwicklung im Zürcher Oberland

Der Artikel bietet einen kurzen illustrierten Überblick über die Kulturlandschaftsentwicklung. Er legt das Schwergewicht auf die Veränderungen des Landschaftsbildes.

Thomas Specker.

Spaziergänge in die Geschichte -
Die Landschaft als Archiv lesen und im Archiv die Geschichte der Landschaft finden

Heimatspiegel Nr. 2 / Februar 2003
(Illustrierte Beilage zum Zürcher Oberländer und Anzeiger von Uster)

Archive mit ihren staubigen Folianten und Papierbündeln und eine saftiggrüne, sonnige Landschaft, was können die nur gemeinsam haben ?! Auf den zweiten Blick einiges. Was wir im Archiv finden und was wir in der Landschaft erkennen können, das ergänzt sich gegenseitig. Auf einer Wanderung beispielsweise sehen wir viele Spuren der jahrhundertelangen Landnutzung. Ohne die Archivforschung kann aber vieles nicht verstanden werden. Umgekehrt mögen die Angaben der aufmerksamen Landschaftsbeobachterin Informationen enthalten, welche im Archiv nicht mehr vorhanden sind.

Bild 1: Kleiner Landschaftsausschnitt bei Wald, der sich als vielfältige Kulturlandschaft erhalten hat. (Bild Specker)

Die Wissenschaft spricht von "Kulturlandschaft" und "Kulturlandschaftsgeschichte", und meint damit, dass seit Jahrtausenden Menschen fast jeden Flecken Land durch Nutzung beeinflusst und umgestaltet haben.

Je weiter zurück eine Epoche liegt, umso schwieriger ist es, überhaupt Spuren ihrer Kulturlandschaft zu finden, da jede nachfolgende Zeit neue Strukturen über die alten gelegt hat. Wir beschränken uns daher und wollen versuchen, aus der Landschaft des Zürcher Oberlandes Bilder der wichtigsten Veränderungsstufen vom Frühmittelalter bis zur frühen Neuzeit zu lesen - also etwa vom 5. – 18. Jahrhundert.

In der römischen Zeit bestand in den fruchtbaren, leicht bebaubaren Teilen der Schweiz eine recht intensive, gut organisierte Landwirschaft auf grossen Flächen. Diese landwirtschaftliche Nutzung prägte überall die Kulturlandschaft. Es gab daneben auch grössere Dörfer und ein ausgebautes Verkehrsnetz. Die Landnutzung im Oberland mag sich von den übrigen Regionen etwas unterschieden haben. Über regionale Besonderheiten in der römischen Zeit wissen wir aber nicht genau genug Bescheid.

Römische Zeit

Bild 2 : Diese Rekonstruktion einer römerzeitlichen Agrarlandschaft bei Orbe zeigt deutlich die grossagrarische Struktur. (Aquarell Brigitte Gubler aus: Furger, A.. Die Schweiz zur Zeit der Römer, S. 191)

Frühmittelalter

Der Zusammenbruch des römischen Reiches hat natürlich auch im Oberland die römischen Strukturen massiv umgestaltet und zu einem tiefgreifenden Wandel der Kulturlandschaft geführt.

Die folgende Epoche des Frühmittelalters brachte einen Rückgang der Bevölkerungsdichte und eine andere, extensiveren Wirtschaftsweise. Der Wald konnte sich ausbreiten; es gab grosse aufgelassene Nutzflächen. Viele Siedlungen waren geschrumpft oder verschwunden, die Verkehrswege zerfielen allmählich. Es gibt allerdings kaum Hinweise darauf, dass wirklich grosse Regionen wie etwa das ganze Oberland vollständig der Natur überlassen worden sind.

Im frühen Mittelalter war für die Landwirtschaft die (extensive) Viehaltung bedeutender als der Getreidebau. Besonders wichtig für die Bauern waren deshalb Flächen am Rande von feuchten Niederungen, Bach- und Flussauen, da sich hier natürliche Wiesen und Weidegründe fanden. Daher liegen frühmittelalterliche Siedlungsstellen fast immer am Rande einer feuchten Niederung. Wahrscheinlich gilt das besonders ausgeprägt im niederschlagsreichen Oberland

Ackerbau wurde jetzt auf wechselnden Flächen betrieben. Zunächst beackerte man ein Stück Land während einiger Zeit. Dann liess man es längere Zeit brach liegen und ackerte an einer anderen Fläche. Die Brachflächen wurden beweidet. Manche mochten sogar wieder verbuscht sein. Durch diese sogenannte Feld-Graswirtschaft verschob sich das Kulturland immer wieder ein wenig. Bei der geringen Bevölkerungsdichte war das auch leicht möglich.

Die Siedlungsstellen zeigten ebenfalls wenig Ortskonstanz und wurden häufig innerhalb einer Siedlungskammer leicht verschoben. Locker gruppierte oder einzeln stehende Höfe waren abhänig von grösseren Fronhöfen, welche politische und wirtschaftliche Zentren bildeten. Grosse, kleinstadtartige Ansiedlungen existierten im frühmittelalterlichen Oberland ebenso wenig wie geschlossene Dörfer.

Neben den Fronhöfen bildeten auch die Gräberfelder (Friedhöfe) und später die Kirchen Kistallisationspunkte im Siedlungsgefüge. Einige wenige Wassermühlen konnten sich auch schon etablieren (z.B. in Weisslingen, im Jahr 764 n.Chr.).

Das Verkehrsnetz bestand weitgehend aus einfachen Wegen und Pfaden. Aufgrund der Vielzahl von verstreuten Siedlungsstellen muss das Wegnetz aber bei aller Einfachheit doch recht dicht gewesen sein.

Die genutzte Landfläche bot also kein geschlossenes Bild. Überall fanden sich grosse, kaum genutzte Waldflächen und Sumpfniederungen. Unzählige kleine Restflächen, Brachen, Gebüsche und unkorrigierte Wasserläufe prägten das Landschaftsbild. Dichter besiedelte Regionen wechselten ab mit wenig oder kaum besiedelten. Es ist wahrscheinlich, dass im Zürcher Oberland die hohen Lagen weitgehend bewaldet blieben.

Bild 3 : Von der frühmittelalterlichen Kulturlandschaft hat sich im Oberland nichts erhalten. Eine ungefähre Vorstellung von der Weidenutzung in feuchten Bachauen kann uns ein Bild aus dem Schwarzwald bieten: Kühe weiden in einer Bachaue bei Vöhrenbach (Schwarzwald). Sie stehen bis an den Bauch im Morast, scheinen sich aber wohl zu fühlen. Sicher hat auch solche extensive Nutzung Vegetation und Wasserhaushalt verändert. (Bild Specker)

Hochmittelalter

Allmählich war gegen Ende des ersten Jahrtausends die Bevölkerungsdichte merklich gestiegn und die alte Landnutzungsweise konnte den Bedarf an Nahrungsmitteln nicht mehr decken.

Die im Hochmittelalter einsetzenden Veränderungen können mit fünf Schlagworten charakterisiert werden: Vergetreidung, Dreifelderwirtschaft, Verdorfung, Verzelgung, Landesausbau. Diese fünf – nicht gerade eleganten – Begriffe kennzeichnen Prozesse, welche sich nicht überall im gleichen Masse durchsetzten. Es bestehen komplexe Wechselwirkungen zwischen diesen Prozessen und mit sozialen und politischen Veränderungen. Diese können hier nicht dargestellt werden.

Der Getreidebau wurde ausgedehnt. Die besondere Fruchtfolge der Dreifelderwirtschaft erlaubte es auch, immer die gleichen Flächen zu beackern, ohne den Boden allzusehr zu erschöpfen. Bei der Fruchtfolge der Dreifelderwirtschaft wechselten auf einem Ackerstück Sommergetreide, Wintergetreide und Brache mit Vieweide ab. Die Brachweide liess dem Boden Erhohlungszeit und brachte gleichzeitig Düngung. Die Getreideerträge blieben durchaus bescheiden und waren stark abhängig von der Düngung durch die Viehweide.

Allmählich gab es immer weniger freies Land. Wahrscheinlich war das Nutzungsgleichgewicht in der Dreifelderwirtschaft nur durch grössere Ortskonstanz des Ackerlandes zu erreichen. Die entstehenden Dörfer benötigten nun auch mehr trockenes, fruchtbares Ackerland. Das suchten sie sich in der nächsten Umgebung zu sichern. Als Ergebnis dieser Veränderungen verdichtete verfestigte sich die bewegliche und lockere Siedlungsstruktur allmählich etwas.

In Dürnten lässt sich das an einem Beispiel gut verfolgen: Um die frühmittelalterliche Siedlungsstelle Oberdürnten gab es neben feuchten Niederungen auch ausreichendes, höher gelegenes Ackerland. Daher konnte sich die Siedlung erhalten und zu einem Dorf weiterentwickeln. Beim südlich gelegenen Brunnenbüel (Nähe Haltestelle Tann) fehlte geeignetes Ackerland; diese Siedlungsstelle wurde aufgegeben.

Die entstehenden Dorfgemeinschaften begannen zudem, den Fruchtwechsel der Dreifelderwirtschaft kollektiv zu regeln: das Dreizelgensystem entstand.

Dabei wird von allen Bauern koordiniert der Fruchtwechsel durchgeführt; in einer Zelge bauen alle jeweils das gleiche an. Jede der drei Zelgen wurde so reihum mit Sommergetreide, Wintergetreide bebaut oder als Brachweide genutzt. Bei diesem System konnte die Ackerfläche maximal ausgenutzt werden, da sich bodenfressende Flurwege erübrigten.

Diese Anbauintensivierung genügte nicht. Durch den sogenannten Landesausbau konnten zusätzliche Flächen unter den Pflug genommen werden. Das geschah einerseits im näheren Umfeld der bestehenden Siedlungen. Grössere freie Landflächen wurden durch neue Siedlungen erschlossen. Natürlich handelte es sich um schlechtere Böden. Im Oberland drangen die Äcker notgedrungen in hohe Lagen und steile Hänge vor.

Bild 4: Die Abbildung der Bilderchronik des Diebold Schilling zeigt eine vielgliedrige Kulturlandschaft. Offensichtlich handelt es sich um hügeliges, eher für Weiden genutztes Land. So dürfte es auch an vielen Orten im Oberland ausgesehen haben. (Luzerner Schilling. Abb. aus Pfaff, Welt der Chronik, S. 47)

Arbeitsintensive Terrassierungen

Ackern in Hängen, das war ohne eine Terrassierung nicht möglich. Das bedeutete eine enorme Arbeitsleistung. In unserer Gegend wurden allerdings keine Steinmäuerchen gebaut. Vielmehr sorgte man durch einseitiges, hangabwärts gerichtetes Schollenwenden für einen allmählichen Terrassenaufbau. Hecken und das gezielte Aufhäufen der Lesesteine taten ein Übriges.

Eine Terrassierung bestand also aus mehreren, fast ebenen, beackerten Terrassenflächen und steilen Böschungen dazwischen den Ackerrainen. Die Raine waren zur Stabilisierung wohl sehr häufig mit Hecken bestockt. Die Terrassenflächen sind eher schmal und weisen immer auch ein gewisses Längsgefälle auf.

Bild 5: Ackerterrassen und ihre Spuren können vielerorts und in erstaunlich extremen Lagen gefunden werden. Diese hier haben sich im Wald oberhalb von ..... gut erhalten. An dieser Extremlage wurde der Ackerbau wohl bald wieder aufgegeben. (Bild Specker)

Bild 6: Beim Hof Schönwis bei Ringwil auf 700 m.ü.M. zeichnen sich in der Horizontlinie vor dem duknkel Wald die verflachten Konturen von vier Ackerterrassen ab. Heute wird hier fast nur noch Graswirtschaft betrieben. (Bild Specker)

Die geschilderten fünf Intensivierungsprozesse brachten eine Veränderung des Landschaftsbildes mit sich. Die Zelgen bildeten nun grössere, permanent ackerbaulich genutzte Flächen. Diese mussten mit Zäunen und Hecken abgegrenzt werden.

Zu einheitlich darf man sich das aber nicht vorstellen. Zelgen bestanden sehr wohl aus mehreren Teilflächen und waren durchsetzt mit kleineren Sonderkulturen, Wald- und Gehölzresten, Bachläufen usw.. Sehr grosse Nutzflächen lagen ausserhalb der Zelgen: Wald, Weiden, Heuwiesen oder auch individuell für Pünten genutztes Land.

Bild 7: Hecken bei Uster, welche einen Teil der Ackerflächen abgenzen und eine Böschung stabilisieren. So stark gegliedert kann man sich die gesamte hochmittelalterliche Kulturlandschaft vorstellen. (Bild Specker)

Die Kulturlandschaft wurde so wohl eher noch vielgliedriger. Vor allem viele Hecken bildeten ein auffälliges Element. Für das Oberland kam hinzu, dass die hügelige Topographie kaum grosse einheitliche Flächennutzungen zuliess.

Als Beispiel können die Zelgen von Ober Dürnten gelten. Für dieses Dorf gibt es einen frühen Plan, der die Güter des Klosters Rüti erfasst. Der Güterplan stammt zwar aus dem 17. Jahrhundert, doch dürfte er hinsichtlich der Landschaftsvielfalt dem Zustand des Hoch- und Spätmittelalters entsprechen. Die drei Zelgen lassen sich auf den ersten Blick kaum erkennen, so zerstreut sind sie angeordnet.

Bild 8: Der Plan zeigt einen Ausschnitt aus dem Dürntener Gebiet um 1680. Im Plan farbig (grau in der Abbildung) markiert sind die Flächenstücke, welche zu einem bestimmten Handlehen gehören. (Waser, Urbar des Amtes Rüti, 1701. Staatsarchiv Zürich).

Auch das lockere, vielkernige Siedlungsbild des Frühmittelalters ist in den alten Siedlungskammern keineswegs verschwunden. Die neuen Dörfer waren klein, häufig auch in mehrere Teile aufgespaltet. Viele der älteren Siedlungskerne blieben bestehen. Beispielsweise existierte die frühmittelalterliche Siedlungsstelle Edikon nördlich von Dürnten als Mühle weiter.

Daneben entstanden durch den Landesausbau neue Dörfer und an vielen Stellen einzelne Höfe.

Mühlen

Zum Getreidebau gehörten auch die Getreidemühlen; ihre Zahl stieg im Hochmittelalter ebenfalls an. Als ein herrschaftliches Recht kam jeder Mühle ein gesichertes Einzugsgebiet zu. Mühlen bildeten (wie die Kirchen) wichtige Siedlungszentren. Und da sie häufig isoliert an einem geeigneten Gewässer lagen, wurden die Mühlewege (neben den Kirchwegen) früh zu permanenten Wege. Diese wurden z.T. auch richtig gebaut. So bewirkten die Mühlen eine Veränderung der Kulturlandschaft auch über ihren engeren Standort hinaus.

Mühle Balchenstal

Die Mühle Balchenstal bei Hittnau war ziemlich sicher eine dieser hochmittelalterlichen Mühlen. Eine Siedlungsstelle "Balchenstal" gab es jedenfalls schon seit dem 11. Jahrhundert, die Mühle ist direkt erst ab 1450 nachweisbar. Um 1572 bestand die Mühle aus 2 Mahlwerken, Scheune, Baumgarten, Äckern, Wiesen und Wald. Der heutige Zustand ist vor allem das Ergebnis der im 19. Jahrhundert erfolgten Modernisierungen.

Die Mühle Balchenstal liegt abseits für sich im Bachtälchen, entfernt von den übrigen Siedlungskerne dieser Siedlungskammer: Unter Hittnau, Ober Hittnau mit der Kirche, die Burg Werdegg, die sehr kleinen Dörfer Isikon, Wallikon und eben die Mühle. (Bild Specker)

Bild 10: Der Mühleweg von Isikon her muss eine beträchtliche Höhendifferenz überwinden. Oben ist er als Hohlweg eingeschnitten und bildet dann einen Hangweg mit mächtiger bergseitiger Böschung. (Bild Specker)

Mühlen prägten die Kulturlandschaft nicht nur durch ihre Zugangswege. Auch das Wasserwerk bedeutete einen Eingriff in den Gewässerhaushalt. Je nach Gefällsverhältnissen musste der Mühlbach weit aufwärts gestaut und in einen kleinen Kanal, das Oberwasser umgeleitet werden. Gelegentlich wurden auch Weiher aufgestaut zum Ausgleich der Wassermengen.

Bild 11: Heute wird das Oberwasser 600 m östlich der Mühle gefasst und in einem Rohr abgleitet. Das Rohrtrassee im steilen Osthang verwendet wahrscheinlich ein älteres, frei fliessendes Oberwasser. (Bild Specker)

Wegenetz und Wegrecht

Das Wegenetz veränderte sich ebenfalls tiefgreifend. Die eigentlichen Zelgen erforderten keine innere Erschliessung, was eine enorme Ersparnis an Bodenfläche bedeutete. Der Zugang zu den Zelgen bestand nicht permanent, sondern abhängig von Fruchtwechsel und Anbausaison. Das galt auch für den Zugang zur Weide, zum Wald: Heuwege, Holzwege, Buwege (wörtlich: Mistwege) usw. waren für die Berchtigten zeitweise offenene Wegrechte und keine permanenten Weganlagen. "Weg" bedeutete daher eher Wegrecht und nicht Weganlage.

Gewisse Punkte eines Weges blieben natürlich ortsfest. Besonders gilt das für die "Gatter", "Stiegel", "Stapfe" oder "Töörli". An diesen Stellen bestand ein Durchgang durch einen Hag oder einen festen Zaun, welcher das Vieh vom Kulturland abhalten sollte. Daher waren diese Durchgänge in vielfältigsten Formen konstruiert: beim "Stiegel" wurden der Zauns mit einer schrägen Leiter überwunden, beim Gatter gab es ein einfaches Türli, beim Fallengatter war das Türli schräg eingehägt, sodass es von alleine zuviel.

Bild 12: Zwei Generationen eines Stiegels. Holzkonstruktion und modernes Gatter. Beide könnnen als Nachfolger einer traditionellen Konstruktion angesehen werden. (Bild Specker)

Bild 13: Dieser Stiegel ist in der mittelalterlichen Bilderchronik des Diebold Schilling abgebildet. Er wird gerade von einem brandschatzenden Krieger überstiegen. Dieses Grundprinzip wird heute noch angewandt. Gezeigt ist auch eine heute praktisch verschwundene Zaunkonstruktion mit Flechtwerk, welche im Mittelalter anscheinend sehr häufig vorkam. (Luzerner Schilling. Abb. aus Pfaff, Welt der Chronik, S. 46).

Spätmittelalter

Das Spätmittelalter brachte zunächst eine allgemeine Krise. Der Getreidebedarf ging zurück. Dies, und wahrscheinlich auch eine Klimaverschlechterung, erzwangen die Aufgabe von Ackerflächen in den Extremlagen. Manche dieser Flächen liegen bis heute unter Wald.

Vor allem auch im Oberland breitete sich zunehmend die Weide-Graswirtschaft aus. Aufgelassene Ackerflächen wurden daher vielfach weiterhin als Weide genutzt. Die benötigte Kulturfläche schrumpfte also nicht – im Gegenteil! Nutzungskonflikte vor allem um Weideflächen, Brachland, Wiesen oder Einschläge u.ä. nahmen zu. Die allmählich wieder wachsende Bevölkerungsdichte erhöhte den Druck zusätzlich.

Es setzte ein bis in die Neuzeit dauernder Prozess der immer schärferen Abgrenzung der Nutzungsansprüche ein. So wurden auch die zwischen mehreren Dörfern bestehenden Weidegenossenschaften teilweise aufgelöst und die Weidegründe aufgeteilt und abgegrenzt.

Grenzen

Damit wurden erst scharfe Gebietsgrenzen im modernen Sinne geschaffen.

Waren früher allenfalls der engste Dorfbereich durch den Etter und die Zelgen durch Zäune und Häge scharf abgegrenzt, wurden jetzt auch Wälder und Weiden ausgemarcht.

Ehemalige Grenzsäume kondensierten zu Grenzlinien und mussten möglichst genau fixiert werden. Dazu dienten Vermarchungen mit Grenzsteinen, präzise Beschreibungen des Grenzverlaufes, die sich an natürlichen Grenzen orientierten. Manchmal wurden auch niedere Grenzwällchen oder Gräbchen angelegt oder ein Grenzrain.

Bild 14: Die Grenze zwischen Adetswil und Kempten ist durch diesen Grenzrain markiert. Das offene Gräbchen sorgt für die Entwässerung der Böschung. Es ist auch erkennbar, dass eine derartige Grenzmarkierung immer noch eine Breite von 20 – 30 Meter aufweist – für heutige Grenzen unvorstellbar. (Bild Specker)

Die Vermarchung beruhte nach wie vor nicht etwa auf einer Vermessung, sondern auf einer Kombination von Beschreibung, natürlichen Geländemarken, künstlichen Merkpunkten, Marchsteinen und kollektivem Gedächtnis. Das folgende Zitat enthält sämtliche dieser Elemente: "Als man von [der] Thöss uff den Rossberg kompt, da hanget vor dem Holtz, genannt Aspenholtz, gegen den Hof ufhin, an der Strassen ein Thürli an einer grossen Eychen, und oberthalb derselben soll der marchstein als zu einem gwüssen Anfang gesetzt werden" (leicht vereichnfacht).

Vielerorts frischten regelmässige Grenzumgänge das Gedächnis auf. Konflikte wurden häufig mit einem "Undergang", d.h. einer Besichtigung der fraglichen Grenze vor Ort entschieden. Anwesend ware die beteiligten Parteien, eine obrigkeitliche Autorität und als Zeugen die "Undergänger".

Ettenhausen

Die ehemalige Gemeinde Ettenhausen (Heute Gemeinde Wetzikon) hat eine Grenze, die sich teilweise an den tiefen Bachtobeln anlehnten. Allerdings liegt hier ein gutes Beispiel vor, dass es nicht immer ganz so einfach ist, die Befunde aus dem Archiv und aus dem Gelände in Übereinstimmung zu bringen.

Zwei grosse, nur grob geformte Steinblöcke fallen im Ettenhauser Wald auf. Sie lassen sich nicht eindeutig einer bekannten Grenze zuordnen. Die Südwestgrenze der Herrschaft verlief nach der Gygerschen Kantonskarte aus dem 17. Jahrhundert etwa 400 m weiter nordwestlich. Ein aus unbekanntem Anlass angefertigter Plan des "Zehntbezirkes Ettenhausen" von 1822 zeigt hingegen die (Gemeinde-)grenze viel weiter südöstlich. Handelt es sich um die Grenze gegen Ringwil ? Gehören beide Steine zur gleichen Grenze ? Sollten sich vielleicht auch die Archäologen für den einen Stein interessieren ?

Bild 15: Bild 16: Der linke Stein steht nahe der Grenze zu Ringwil. Er weist ein (jüngeres) Borloch auf und ist duch einen umstürzenden Baum gekippt. Der rechte Stein steht mitten im Ettenhauser Wald unterhalb einer sehr schön ausgeprägten Ackerterrasse. (Bild Specker)

Bild 17: Die Ettenhauser Grenze in der Karte des Zürcher Gebietes von H. C. Gyger um 1667. Rechts die südwestliche Grenze, welche etwa 400 m parallel zu den beiden Marchsteine verläuft. (Staatsarchiv Zürich)

Viele Aspekte der Kulturlandschaftsentwicklung bis zum Ende des Mittelalters konnten nur gestreift werden. Ein Beispiel wäre die vielfältige Waldnutzung durch Holzschlag, Waldweide, Köhlerei mitsamt der Übernutzung. Manches ist noch kaum erforscht.

Bild 18: Dieses Altarbild aus dem 15. Jahrhundert zeigt eine biblische Szene. Sie ist in einer realistisch dargestellten Landschaft dargestellt – eine der frühesten Landschaftsabbildungen überhaupt. (Genfer Altar des Konrad Witz, 1444. Abb. aus Pfaff, Welt der Chronik, S. 47).

Frühneuzeit - Gegenwart

Einige wesentlichen Veränderungen im Kulturlandschaftsbild bis zur Gegenwart sollen noch angedeutet werden.

Seit der frühen Neuzeit begann das Verkehrssystem die Kulturlandschaft immer deutlicher zu beeinflussen. Permanente, breite Wege und Strassen wurden gebaut.

Den einschneidensten Umbruch brachte die Auflösung des Zelgensystems im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Damit wurde eine individuelle Bewirtschaftung möglich. Immer umfangreicher werdende Flur- und Waldwegerschliessung, zunehmender Dünger- und Maschineneinsatz führten bis ins 20. Jahrhundert schliesslich zur heutigen ausgeräumten Agrarlandschaft.

Die jüngste Enwicklung bringt eine gewisse Rückwendung, indem erhaltene Kulturlandschaften als wertvolles Kulturgut erhalten und gepflegt werden. In der Raumplanung, z.B. bei Landschaftesentwicklungskonzepten (LEK) wird das zunehmend berücksichtigt. Einige werden sich fragen, wozu sollen historische Kulturlandschaften erhalten werden ?

Historische Kulturlandschaften sind vielfältig und interessant. Sie haben daher einen grossen ästhetischen und ökologischen Wert. Landschaft ist eben auch ein Geschichtsarchiv, welches über das Leben unserer Vorfahren Auskunft gibt. In diesem Archiv ist auch viel Wissen gespeichert über die Möglichkeiten einer nachhaltigen, langfristig stabilen Wirtschaftsweise.

Vielleicht hat Sie dieser Artikel ja angeregt, beim nächsten Spaziergang die Landschaft mit anderen Augen zu sehen.

Kurzbiographie:

Der Autor ist Historiker und Geograf in Zürich. Nach Arbeiten als archäologischer Prospektor folgte die Inventarisierung der historischen Verkehrswege (IVS) in der Ostschweiz. Seit 1999 besteht das Büro GRAD GIS Specker mit Spezialisierung auf die Anwendung Geographischer Informationssysteme (GIS) und Datenbanken im Bereich Kulturlandschaftsgeschichte, Raumplanung, Archäologie.

Literatur:

Diezinger, Rudolf. Plan über den Zehenden Bezirk Ettenhausen. 1822. Staatsarchiv Zürich, Plan Q 313

Eine Landschaft und ihr Leben: das Zürcher Oberland. Vom Tierhag zum Volkiland. Herausgegeben von Bernhard Nievergelt und Hansdudi Wildermuth. Zürich 2001

Ewald, Traditionelle Kulturlandschaften. Elemente und Bedeutung. In: Naturlandschaft Kulturlandschaft. Die Veränderung der Landschaften nach der Nutzbarmachung durch den Menschen. H.g. von Werner Konold. Landsberg 1996

Furger, Andreas. Die Schweiz zur Zeit der Römer. (Archäologie und Kulturgeschichte der Schweiz, Bd. 3). Zürich 2001

Gyger, Hans Conrad. Grosse Landtafel des Zürcher Gebietes, 1664 – 1667. Verwendet wurde eine anonyme Kopie in 56 Blättern von nach 1701. Beide Werke liegen als Faksimile vor

Hürlimann, Katja. Erinnern und Aushandeln. Grenzsicherung in den Dörfern des Zürcher Untertanengebietes um 1500. In: Thomas Meier, Roger Sablonier (Hg.). Wirtschaft und Herrschaft. Zürich 1999

Pfaff, Carl. Die Welt der Schweizer Bilderchroniken. Schwyz 1991

Stromer, Marks. Dürnten. 1250 Jahre Ortsgeschichte. Dürnten 1995.

Stromer, Markus. Wirtschaftliche und Soziale Verhältnisse auf dem Land 1100 – 1350. In: Geschichte des Kantons Zürich, Bd. 1. Zürich 1995

Wanner, Konrad. Siedlungen, Kontinuität und Wüstungen im nördlichen Kanton Zürich (9. – 15. Jahrhundert). Zürich 1984

Waser, Joh. Rodolf. Grundriss (...) des Amtes Rüti Güteren (...). Urbar des Amtes Rüti 1701. Zwei prachtvolle Bände, welche mit Plänen und sorgfältigen Auflistungen die Lehen im Amt Rüti verzeichnen. Staatsarchiv Zürich, Plan B 546 und B 547

Zangger, Alfred. Wirtschaft und Sozialstruktur auf dem Land 1350 – 1530. In: Geschichte des Kantons Zürich, Bd. 1. Zürich 1995

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