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Grenzen einst und jetzt

Das Grenzsteininventar der Denkmalpflege Zürich.

Thomas Specker

Grenzsteine sprechen -  wenn sie gefragt werden.

Das Denkmalpflegeinventar historischer Grenzsteine

in: einst und jetzt, 4 / 2012, S. 4 - 13

Hier folgen einige Textausschnitte. Der ganze Text steht hier als PDF zur Verfügung.

Einleitung

Alte Grenzsteine sind ein faszinierendes Kulturgut und wertvolle Zeugen der Geschichte zugleich. Ihr Verschwinden bedeutet immer einen unwiederbringlichen Verlust an Geschichtswissen und an Vielfalt. Jeder Stein ist ein kleines Kunstwerk und ein kleines, aber wichtiges Element unserer Kulturlandschaft. Deshalb erfasst die Kantonale Denkmalpflege seit 2008 die historischen Zürcher Grenzsteine in einem aktualisierten Kurzinventar. Über eintausend Steine sind bereits darin aufgenommen.

Wohnungswechsel von einem Kanton in einen andern, Pendler ströme über grosse Distanzen und Fahrten ins Ausland über meist offene Grenzstationen lassen uns vergessen, wie bedeutsam Grenzziehungen einst waren. Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit überzog ein kaum überschaubares Geflecht von Grenzen die Landschaft. Sie zu überschreiten war einiges komplizierter als heute. Da gab es Gütergrenzen, Kirchgemeindegrenzen, Gerichtsherrschaftsgrenzen, Hochgerichtsgrenzen und Zehnt bezirksgrenzen, die alle unabhängig voneinander und über Kreuz verlaufen konnten. Zahlreiche Absprachen, Dokumente und Grenzzeichen sicherten diese Grenzen. So kennen wir bis zum 17. Jahrhundert viele historische Quellenbelege für Grenzsteine, im Gelände dagegen blieben aber nur ganz wenige solche Markierungen erhalten. Die ältesten be kannten Zürcher Grenzsteine gehen ins 16. Jahrhundert zurück: ein inzwischen ebenfalls verschwundener Stein von 1542 und einer von 1557, der bis heute überdauert hat.

Rechtsdokumente aus Stein, Glas und Keramik

Grenzen von Grundbesitz oder von Herrschaftsgebieten wurden meist dann «vermarcht», d.h. vermessen und markiert, wenn der genaue Verlauf einer Grenze festgelegt werden musste, aber eine Grenzbeschreibung und natürliche Grenzzeichen zu wenig eindeutig waren. Bis weit in unsere Zeit hinein bildete dabei der Stein oder ein anderes Grenzzeichen das eigentliche und massgebliche Rechtsdokument. Wo ein sogenanntes «Marchenlibell», ein Grenzbeschrieb, vorlag, kam auch diesem Rechtsbedeutung zu. Aber ohne die Grenzsteine im Gelände waren die schriftlichen Angaben niemals sicher genug.

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Aussagekräftige Geschichtsquellen

Genossen Grenzsteine einst eine herausragende Bedeutung zur Absicherung von Herrschaftsgebieten, sind sie heute unter anderem als Quellenbelege zu historischen Grenzziehungen wertvoll, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Nach der Eroberung der Grafschaft Baden durch die Eidgenossen 1415 sowie dem Erwerb der Herrschaft Kyburg durch Zürich im Jahr 1424 fixierte ein eidgenössisches Schiedsgericht 1471 den Grenzverlauf der Grafschaft Baden gegen Zürich. Zürich musste dabei seinen Anspruch auf ein grosses Gebiet westlich von Kaiserstuhl aufgeben.

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Wie beschreibt man einen Grenzstein?

Die wichtigsten Teile eines Grenzsteins sind der im Boden steckende Sockel («Wurzel») und der sichtbare «Kopf». Dessen Form erinnert an ein Gebäude, so spricht man auch hier vom Grundriss und vom Dach.

Da Grenzsteine vorerst einmal Vermessungsmarken sind, ist ihre Position im Gelände und der Bezug zu einer Grenze besonders wichtig. Viele Steine zeigen den Grenzverlauf mit ihrer Grundrissform und einem Firstdach, andere tragen auf dem Dach Grenzkerben.

Inschriften auf Grenzsteinen werden wie Texte auf Papier beschrieben. Man unterscheidet Buchstaben, Ziffern und Symbole, erwähnt Ligaturen und andere stilistische Besonderheiten. Die Wappen erfordern gelegentlich einen kleinen Ausflug in die Heraldik. Ablesbare Veränderungen, etwa das «Überschreiben» eines Herrschaftszeichens oder einer Nummer, machen den Grenzstein als Geschichtsquelle besonders wertvoll. Nicht zuletzt sind wie bei allen erhaltenswerten Kleinmonumenten der Zustand, erkennbare Veränderungsprozesse und akute Gefährdungen von Bedeutung.

Ein Inventar für eine bedrohte Gattung

Man sieht: Grenzsteine sind genauso wertvolle Geschichtsquellen wie Archiv dokumente. Doch wie können die vielen, verstreut liegenden Objekte adäquat gesichert werden?

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Feld-, Wald- und Büroarbeit

Angesichts der beträchtlichen Zahl der Objekte ist ein pragmatisches Vorgehen notwendig. So fiel der Entscheid, vor allem vom bestehenden Inventar auszugehen und nur einige wenige Kartenquellen auszuwerten. Das Schwergewicht liegt damit bei den Nachforschungen im Gelände, hinzu kommen Informationen aus der Bevölkerung. (...)

Justitia schützt alte Grenzsteine

Das Zürcher Planungs- und Baugesetz (PBG) verpflichtet Behörden und öffentliche Stellen, potenziellen Schutzobjekten Sorge zu tragen – dies gilt auch für alte Grenzsteine. Um die Schutzwürdigkeit abzuklären, beauftragte die Denkmalpflege den Historiker und Geographen Thomas Specker, das Kurzinventar zu erstellen. Anschliessend werden die katalogisierten Grenzsteine bewertet und dort, wo Schutzmassnahmen angezeigt sind, als Objekte von kommunaler oder überkommunaler Bedeutung in einem festgesetzten Inventar verzeichnet. Wo die Erhaltung am Ort nicht möglich ist, könnte wie bei einer archäologischen Rettungsgrabung der Schutz durch eine Dokumentation und das anschliessende Bergen der Steine wenigstens teilweise erreicht werden.

Marchsteine standen und stehen noch heute als gültige Grenzzeichen unter einem speziellen Schutz. Mittelalterliche Gesetzestexte sahen für das Versetzen von Grenzsteinen drakonische Strafen vor, vergleichbar mit Vergehen geben Leib und Leben.

Etwas kompliziert ist die Definition der Eigentumsverhältnisse. Ein Grenzstein muss als bewegliches Objekt vom ortsfesten Schutzobjekt unterschieden werden, er ist demnach wie ein archäologisches Fundobjekt zu behandeln. Dies gilt ganz eindeutig für die Zeugenstücke, die nur durch Ausgraben gefunden werden. Ein Grenzstein darf also nicht einfach entfernt und in den Vorgarten eines Einfamilienhauses versetzt werden. Beschädigungen oder «Privatisierungen» kommen aber nicht nur mit eigennütziger oder gar böswilliger Absicht zustande, sondern eher durch mangelndes Wissen um den Wert und die rechtliche Situation. Hier ist einiges an Informationsarbeit zu leisten, nicht zuletzt bei Förstern, Waldbesitzern, Planern und Geometern.

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