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Ausschnitt aus der Landschaftsgeschichte im Thunbachtal TG

Der Artikel bietet einen kurzen Überblick über das Thunbachtal. Er wurde anlässlich der Einweihung des rekonstruierten Sodbrunnens in der Hofwüstung Bietenhard bei Thundorf TG geschrieben.

Thomas Specker

Wüstungen um Thundorf und Lustdorf

Mir Tuenbachtaler. Informationen aus Lustdorf, Thundorf und Wetzikon. Nr. 32, 17. Mai 1998, Spezialausgabe (Herausgeber: Gemeindeverein Thundorf)

Unter Wüstungen (oder Siedlungswüstungen) werden mittelalterliche, heute verschwundene Siedlungen verstanden. Sie legen Zeugnis ab für grössere wirtschaftliche Umbrüche, welche das scheinbar wenig veränderliche Landschaftsbild nachhaltig umgestaltet haben. Grabungen in Wüstungen erlauben zudem interessante Einblicke ins frühere Alltagsleben.

Wüstungen lassen sich mit verschiedensten Methoden finden. Beispielsweise kann man in den Quellen nach Ortsnamen, die heute nicht mehr existieren suchen oder ältere Karten vergleichen. Manche Wüstungen verraten sich durch einen Flurnamen oder sind sogar im Gelände noch erkennbar. Je länger eine Siedlung verschwunden ist, um so schwieriger ist sie zu finden.

Wüstungen entstanden zu allen Zeiten und aus den verschiedensten Gründen. In gewissen Zeitepochen verschwanden aber besonders viele Siedlungen. Solch eine Epoche ist die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit mussten im Thurgau viele hoch gelegene Höfe aufgegeben werden. Ursache war (neben besonders ungünstigem Klima) ein Strukturwandel in der Landwirtschaft. Es fand eine stärkere Integration in den Markt statt beim Absatz und beiden Produktionsmitteln. Der Getreideanbau erhielt Konkurrenz durch billigere Importe mittels der Eisenbahn. Ein Ausweichen auf Gras-Milchproduktion oder die Intensivierung der Produktion war nicht überall möglich. Diesem Wandel fielen die Betriebe in extremen Lagen zum Opfer. Sie hatten ungünstige Böden, rauheres Klima oder waren schlecht erschlossen. Zu diesen Wüstungen gehört der Hof Bietenhard.

Im ganzen Thurgau sind zurzeit etwa 170 verschwundene Höfe und Weiler nachweisbar. Ein grosser Teil davon wurde im 19. Jahrhundert aufgelassen, viele davon auch früher.

Auch gegen das Ende des Mittelalters gab es nämlich eine Epoche mit europaweitem Bevölkerungsrückgang und landwirtschaftlicher Überproduktion, Pest- und Seuchenzügen. In manchen europäischen Regionen entvölkerten sich ganze Landstriche. Das Gebiet des Thurgaus scheint davon nicht ganz so stark betroffen gewesen zu sein. Immerhin verschwand vor 1500 auf dem Wellenberg westlich von Thundorf der Weiler Märwilen, von dem gleich die Rede sein wird und vielleicht auch andere der unten aufgezählten Hofwüstungen um Thundorf.

Im Hochtal von Thundorf zeigt die Karte eine recht hohe Dichte von Wüstungen: Lipfersberg, Gentwilen, Bietenhard, Waldhof, Amerwiler, Märwilen, Getschhusen, Euggelimoos, Rägetswil (südöstl. Thundorf), Wilen (südwestl.). Clemens Hagen ordnet dies Höfe in seiner lesenswerten Ortsgeschichte einem Ring von Ausbausiedlungen zu, die um den zuerst erschlossenen Talgrund herum die Höhen aufsiedelten. Das Siedlungsbild muss man sich also im Hochmittelalter ganz anders vorstellen: locker verteilte Höfe und Weiler, zwei nur wenig grössere Dörfer am Bach, die Kirche auf der Höhe fast allein stehend.

Auch westlich von Griessenberg liegt eine ausgedehnte Einzelhofregion. Das wohl nach 1500 abgegangene Ärwilen (oder Märwilen) war einer dieser Höfe oder Weiler. Er gehört zu einer westlichen Gruppe von Wüstungen: Waldhof und Bietenhard. Die Flurnamen "Chräzeren", "Schlatt" und "Amerwiler", je auf einer grösseren Geländeterrasse mit Waldlichtung gelegen, weisen auf einen bis möglicherweise drei Hofwüstungen hin. Dazu kommen insgesamt fünf Burgstellen: Griessenberg und zwei unmittelbar dabei gelegene kleinere Anlagen und im Wald bei Amerwiler zwei weitere, eindeutig mittelalterliche Anlagen. Das Gebiet der erstmals im frühen 13. Jahrhundert fassbare Herrschaft um die Burg Griessenberg zeigt also das typische Bild einer Region, in der im Hochmittelalter einige kleinere, unbekannte Adelige Siedlungsausbau betrieben haben und so allmählich auch Randlagen erschlossen.

Die genaue Entstehungszeit Ärwilens ist unbekannt. 1368 wird "der hof ze Erwile" dem Hochstift Konstanz geschenkt; 1374 wird der gleiche oder ein zweiter Hof dabei verkauft und bereits 1385 erneut abgestossen. Häufige Handwechsel können durchaus Hinweis auf ungünstige wirtschaftliche Lage sein. Im letzten Beleg erscheint "Aerwile" 1466, "zwischent Wulfikon und Ochsenhart" gelegen als ein Teil der Herrschaft Spiegelberg. Von der Siedlung sind Wölbäckersysteme und ausgedehnte Ackerterrassen erhalten. Das lässt erkennen, dass hier Ackerbau getrieben wurde und es sich nicht um einen auf Milchwirtschaft spezialisierten sogenannten "Schweighof" handelte.

Die kurze Übersicht lässt natürlich viele Fragen nach genauer Lage der Wüstungen, Entstehungs- und Auflassungszeitpunkt und vielem mehr offen. Aber offensichtlich ist das Hochtal von Thundorf für die Wüstungsforschung hoch interessant.

© 1998 GRAD GIS Specker